
MEHR ALS AUF- UND ABKLÄREN
Mein Glücksmoment: Beratungsangebot „Gemeinsam ZuRechtFinden“ sorgt häufig für Glücksmomente. Von Pat Christ


MEHR ALS AUF- UND ABKLÄREN
Mein Glücksmoment: Beratungsangebot „Gemeinsam ZuRechtFinden“ sorgt häufig für Glücksmomente. Von Pat Christ
Wie glücklich Vogelgezwitscher macht, wie glücklich es macht, die Klänge Mozarts zu hören – Menschen, die taub sind, kennen diesen Genuss nicht. Immerhin können sie ihre Augen an Schönem weiden. An einem Sonnenuntergang. Am glitzernden Meer. Taubblinden bleiben beide Welten verborgen! Gleichwohl empfinden auch sie Glück. Für Glücksmomente sorgen Margit Schmidt und ihr Team vom Beratungsangebot „Gemeinsam ZuRechtFinden“. Das gibt es dank einer Förderung der „Aktion Mensch“ seit Juli 2024.
Für Kinder ohne Behinderung ist es völlig selbstverständlich, auf den Spielplatz zu gehen, für Teenager ohne Einschränkung ganz normal, sich nach der Schule in den Jugendtreff zu begeben. Ein taubblindes Kind braucht dafür Hilfe und Menschen, die seine Sprache sprechen. „Taubblinde kommunizieren zum Beispiel über taktile Gebärden, sie verwenden Symbole oder tauschen sich durch Unterstützte Kommunikation aus“, erläutert Margit Schmidt.
Wer nicht sieht und wer nicht hört, ist darauf angewiesen, mit der Welt direkt in Berührung zu kommen. Assistentinnen und Assistenten zu finden, die mit taubblinden Menschen „berührungsvoll“ kommunizieren können, sind äußerst rar. Im Moment sucht Margit Schmidt zum Beispiel eine Schwimmassistenz für den taubblinden Anton. Seine Mutter las kürzlich, dass viele Kinder heutzutage nicht schwimmen können und dass das gefährlich sei: „Nun möchte sie, dass Anton das Schwimmabzeichen ‚Seepferdchen‘ macht.“ Eine andere Mutter sucht über „Gemeinsam ZuRechtFinden“ eine Assistenz für ihr Kind, damit es auf Reha kann.
Margit Schmidt, Projektleitung Beratungsstelle für Menschen mit Taubblindheit und Menschen mit komplexer Behinderung.

Margit Schmidt, Projektleitung Beratungsstelle für Menschen mit Taubblindheit und Menschen mit komplexer Behinderung.
Gerade weil es sehr schwer ist, das Leben mit einem taubblinden Kind zu bewältigen, sorgt die Beratungsstelle für ein deutliches Plus an Lebensqualität. Das wird auch am Beispiel von Luis (Name geändert) deutlich. Luis ist ein junger Mann mit komplexer Behinderung. Er sitzt im Rollstuhl und hat eine starke Hirnschädigung. Zudem leidet er an Spasmen, kann sich nicht verbal verständigen und ist voll blind. „Dennoch wurde der Antrag auf Blindengeld abgelehnt“, so Margit Schmidt. Luis’ Eltern, die aus der Türkei stammen, waren mit dem ablehnenden Bescheid überfordert. Kann man da noch was machen? Wenn ja, was?
Zum abschlägigen Bescheid kam es, fand Schmidt heraus, weil die Blindheit als nebensächlich angesehen wurde. „Sinngemäß hieß es, dass der junge Mann, selbst wenn er sehen würde, aufgrund seiner komplexen Behinderung ja doch nicht mehr machen könne“, erläutert sie. Wie hanebüchen! Margit Schmidt focht die Sache durch. Und machte damit Luis und seine Eltern glücklich: „Nun ist sehr viel mehr an Teilhabe möglich, mit dem Blindengeld können die Eltern zum Beispiel eine Assistenz finanzieren.“
Ist das Leben schwierig, hilft allein oft schon, sich mal bei jemandem aussprechen und dabei seine Gedanken ordnen zu können. Diejenigen, die Margit Schmidt kontaktieren, sind nicht zuletzt deswegen glücklich, weil sie in ihr eine Ansprechpartnerin gefunden haben. Margit Schmidt klärt nicht nur auf. Klärt nicht nur ab. Sie versteht. „Taubblindheit ist weit mehr als die Addition von ‚taub‘ und ‚blind‘“, betont sie. Taubblinde Menschen leben dadurch, dass ihnen zwei Sinne fehlen, in einem eigenen Kosmos. Es braucht eine ganze Weile, um zu begreifen, wie es in diesem Kosmos ausschaut. Und wie es sich in diesem Kosmos lebt.
Wer nicht sieht und wer nicht hört, muss mit der Welt auf andere Weise in Kontakt kommen. Das macht die Beratungsarbeit zur besonderen Herausforderung.
Was Taubblindheit anbelangt, ist Margit Schmidt sehr versiert. Bereits seit 1987 arbeitet sie in der Blindeninstitutsstiftung mit Menschen mit Taubblindheit. Heute berät sie zusammen mit ihrer Kollegin Stefanie Tröster in Haus 7 des Blindeninstituts Würzburg Menschen jeden Lebensalters, die Fragen zu Taubblindheit oder komplexen Behinderungen haben. Auch Stefanie Tröster hat eine langjährige Erfahrung in der Arbeit mit taubblinden Menschen – seit mehr als 20 Jahren ist sie schon in der Blindeninstitutsstiftung tätig. Jeden Tag wenden sich zwei bis drei Ratsuchende an das Team.
Weil oftmals eine Qualifikation alleine nicht reicht, um die komplexen Probleme zu lösen, ist der Sitz der Beratungsstelle ideal. „Im Stockwerk unter uns befindet sich das medizinische Behandlungszentrum für behinderte Menschen, über uns sind die Orthoptistinnen“, erläutert die Sozialpädagogin. Nebenan ist die Kommunikationsabteilung. Dass sie durch die interdisziplinäre Vernetzung oft selbst in kniffligen Fällen helfen kann, das wiederum macht Margit Schmidt glücklich.