„Wer jammert, kommt nicht weiter.“
Helene Schipp, 102
Das Geheimnis eines langen Lebens – Bescheidenheit, Zufriedenheit, viel Arbeit und stets Humor scheinen eine wichtige Rolle zu spielen.
Ein warmes und freundliches Lächeln bekommt man von Helene Schipp, egal was man sie fragt über ihr 102-jähriges Leben. Eine freundliche Antwort bekommt man auch, aber die fällt kurz aus. Sie wurde 1917 in Katowice geboren. Nach dem Krieg floh sie mit dem Zug über die Oder, in Ochsenfurt fand sie schließlich ihren Mann im Kriegsgefangenenlager. Aber sie musste noch einmal zurück nach Oberschlesien, um ihren Sohn zu holen. Es folgten harte Jahre, einquartiert, mit nicht viel mehr als einem Dach über dem Kopf.
Sie hat so viel erlebt, da kann sie doch sicher viel erzählen? Ach was, winkt sie ab, so als sei das alles nicht der Rede wert. Bald merkt man: Die kurzen Antworten haben etwas damit zu tun, dass sie sich nicht mehr so gut erinnern kann. Nicht an längst Vergangenes und auch nicht daran, was heute ist, im Seniorenzentrum Eibelstadt. „Sie geht gerne zu den Beschäftigungsangeboten, aber das weiß sie nachher nicht mehr“, erzählt die Tochter.
Handarbeiten konnte sie schon immer gut, vor allem nähen. Das hat sie sich selbst beigebracht und immer für alle Kleider genäht. Oder umgenäht von Groß nach Klein, wenn es nichts anderes gab, geflickt natürlich auch. Auch mit 92 noch, doch dann wurden die Augen schlecht. Ansonsten ist der Gesundheitszustand von Helene Schipp erstaunlich für ihr Alter. Das Geheimnis? Vielleicht liegt es am Buchweizen und der Hirse, die sie früher viel gegessen hat, meint die Tochter. Sie selber rät: „Nicht so viel essen!“ Die Leute würden immer zu große Portionen essen, das habe sie nie gekonnt.Und überhaupt: Man soll alles mit Maß machen, nicht so übermütig sein, das würde sie jungen Menschen raten. „Am besten kommt man durch, wenn man mit allem zufrieden ist. Die, die jammern, kommen nicht weiter.“ Der Humor und das Lachen dürfen natürlich nicht fehlen. „Wenn es so bleibt, ist alles gut. Ich bin zufrieden“, sagt sie mit ihrem bezaubernden Lächeln.
„Ohne Humor wäre ich schon lange fort.“
Frieda Weberbauer, 101
Wie sie es geschafft hat, so alt zu werden? Darauf hat Frieda Weberbauer keine Antwort parat. Das sucht man sich ja nicht aus. Aber stolz ist sie auf ihr Alter, das ist klar. In ihrem Zimmer im Seniorenzentrum Estenfeld prangen vom letzten Geburtstag drei Luftballons in der Form einer Eins, einer Null und einer Eins, riesengroß und pink-metallic. Und sie hat selbst dafür gesorgt, dass sie da hängen bleiben.
Stolz kann sie auch sein. Denn ihr Leben war nicht nur lang, sondern auch arbeitsam. Nur geschafft hat sie, als die Männer im Krieg waren und es an allem fehlte, hinten und vorne. Als sie einen Witwer heiratete und sich auf einmal um vier Kinder kümmern musste. Bis sie 77 war, ist sie arbeiten gegangen: in der Bäckerei, als Putzfrau und dann 22 Jahre im Catering. Ganz früher auch mal in der Landwirtschaft, da sollte sie rund um die Uhr schuften, für 150 Mark im Jahr. Da hat sie gesagt: „Das mach ich nicht mehr.“
Arbeit hat eine große Rolle gespielt in ihrem Leben. Sie hat alles gemacht, und die Leute haben sie gemocht deswegen. Aber sie hat sich auch nicht alles gefallen lassen. Schon damals, als sie als Kind eine Stunde zu Fuß in die Schule laufen musste, im Winter durch den hohen Schnee, viermal die Woche. Und der Pfarrer verlangt hat, dass die Kinder den Weg auch noch am Sonntag machen, um in die Kirche zu gehen, während die, die neben der Kirche wohnten, nicht hingehen mussten. Was für eine Ungerechtigkeit. „Da ist der Opa hingegangen zum Pfarrer, da hat es aber geraucht.“
Hier im Seniorenzentrum Estenfeld sei es doch schön, hier wird man so gut versorgt. Das Laufen geht zwar nicht mehr gut, aber das Essen schmeckt noch, und das ist doch was. „Man muss doch zufrieden sein.“ Acht Enkel, 15 Urenkel und zwei Ur-Ur-Enkelinnen hat sie inzwischen. Sie erzählt, wie eine der Kleinen immer auf ihren Schoß klettert, über ihre Wange streicht und „Oma Frieda“ sagt, und da muss sie lachen. Ansonsten ist sie ganz gern allein in ihrem Zimmer, denn die Marotten der anderen Senioren braucht sie nicht unbedingt. „Der Herrgott hat einen großen, großen Tiergarten.“ Weise Worte.
Später hat sie dann doch eine Vermutung, wie sie 101 geworden ist: Vielleicht liegt es an der Energie, am Unternehmungsgeist. Ganz sicher aber am Humor: „Wenn ich den nicht hätte, wär ich schon lange fort.“
Sind Hundertjährige bald nichts Besonderes mehr?
In den Senioreneinrichtungen des Landkreises Würzburg leben derzeit zehn Frauen, die 1919 oder früher geboren wurden. Dass keine Männer darunter sind, ist kein Zufall: Unter den 16.500 mindestens Hundertjährigen, die im Jahr 2017 in Deutschland lebten, waren nur 15 Prozent Männer. Frauen, die heute 50 sind, haben eine 13-prozentige Wahrscheinlichkeit, 100 Jahre alt zu werden, Männer nur eine zweiprozentige. Allerdings werden die Chancen auf ein biblisches Alter für beide Geschlechter immer besser: Bei den neugeborenen Mädchen sind es bereits 28 Prozent, bei Jungen 7 Prozent. Die geringere Lebenserwartung der Männer hat biologische Ursachen, auch der Krieg spielt eine Rolle, aber vor allem liegt es am Lebensstil: Männer rauchen und trinken mehr, gehen seltener zum Arzt und haben häufiger gefährliche Berufe.