Das Erbgut lesen, um Krankheiten zu verstehen

Genommedizin hilft, Krankheiten nicht nur zu behan­deln, sondern auch ihre Ursachen zu verstehen. Seit dem 1. Oktober 2025 vereint das Institut für Klini­sche Genetik und Genommedizin am Universitäts­klinikum Würzburg Forschung, Diagnostik und Patien­tenversorgung unter einem Dach.

Prof. Anke Bergmann, Genetikerin, zeichnet ein genetisches Stammbaumschema auf eine Glasscheibe.
„Unser Erbgut ist wie eine Gebrauchs­an­weisung des Körpers, die rund drei Milliarden ‚Buchstaben‘ umfasst. Wir können diese Buchstaben heute voll­ständig lesen, ordnen und analysieren, doch die ‚Grammatik‘ dahinter, also wie alles zusammen­wirkt, ist größtenteils noch rätselhaft.“

Krankheiten früher erkennen, Therapien individueller abstimmen und Prävention gezielter gestalten. All dies wird mög­lich, wenn Ärztinnen und Ärzte die genetisch­en Besonderheiten eines Menschen verstehen. Mit der Gründung des Instituts schlägt die Universitäts­medizin ein neues Kapitel in der patientenorientierten An­wendung der Genetik in der Medizin auf: Es betrach­tet das gesamte Erbgut eines Menschen und nutzt Erkenntnisse daraus für indi­viduell maßgeschneiderte Therapien.

Kurze Wege unter einem Dach

Das neue Institut übernimmt die Aufgaben der bisherigen Humangenetik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), erweitert sie um moderne Diagnostik, Forschung und Behandlung und bündelt dies am Universitätsklinikum Würzburg (UKW). Das führt zu kurzen Wegen und der direkten Kommunikation zwischen den medizinischen Fachbereichen, was Patientenversorgung aus einem Guss ermöglicht.

„Damit errichten wir eine wichtige Säule in der Patientenversorgung für die Region und weit darüber hinaus“, so die neue Direktorin des Instituts, Prof. Dr. Anke Katharina Bergmann. Sie war zuvor stellvertretende Direktorin des Instituts für Humangenetik an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und blickt auf berufliche Stationen in der Berliner Charité und der Harvard-Universität in Boston zurück.

Wie die Genommedizin hilft

Die Genomanalyse erlaubt präzise Einblicke in das menschliche Erbgut. Dabei werden Veränderungen oder Fehler in den Genen aufgedeckt, die Krankheiten verursachen können. Das führt bei Seltenen Erkrankungen oft nach jahrelanger erfolgloser Suche endlich zu einer Diagnose.

Auch bei Tumorerkrankungen spielt die Genetik eine immer wichtigere Rolle, denn genetische Eigenschaften im Krebsgewebe geben Rückschlüsse auf sinnvolle Therapieoptionen. Weiterhin können genetische Veränderungen das Risiko, an Krebs zu erkranken, signifi­kant erhöhen und sind somit für die Früherkennung wichtig.

In mehreren Schritten zur besten Behandlung

Mit Eröffnung des Instituts entsteht eine Ambulanz für Genetik. Sie richtet sich an Menschen, bei denen eine genetisch bedingte Erkrankung oder eine Veranlagung dazu vermutet wird. „Wir klären gemeinsam, ob eine Krank­heit ihre Ursache im Erbgut hat und gegebenenfalls in der Familie vererbt wird bzw. wie hoch das per­sönliche Risiko für eine Erkrankung ist und ob Vor- oder Nachsorge­unter­suchungen sinnvoll sind“, so Prof. Bergmann. „Wichtig ist, die Folgen genetischer Befunde abseits der Labordiagnostik verständlich und transparent darzu­stellen und Patientinnen und Patienten Grundlagen für die bestmögliche Ent­scheidung zu geben.“

Die genetische Beratung am neuen Zentrum umfasst mehrere Schritte: Nach Sichtung der Unterlagen er­örtert ein ausführliches Gespräch die per­sön­liche und familiäre Krankengeschichte. Dazu wird gegebenen­falls ein Familien­stammbaum erstellt, der mögliche Erbgänge aufzeigt. Im persönlichen Gespräch erklären die Fachleute ver­ständlich, welche genetischen Faktoren an der Erkrankung beteiligt sein können. Weiterhin erfolgt eine körperliche Unter­suchung und bei Bedarf eine genetische Analyse mittels Blutprobe.

„Unser Erbgut ist wie eine Gebrauchs­anweisung des Körpers, die rund drei Milliarden ‚Buchstaben‘ umfasst“, erklärt die Professorin. „Wir können diese Buchstaben heute vollständig lesen, ordnen und analysieren, doch die ‚Grammatik‘ dahinter, also wie alles zusammenwirkt, ist größtenteils noch rätselhaft.“

Daher widmet sich das neue Institut neben der Patientenversorgung auch intensiv der Forschung. Ein Schwer­punkt liegt auf der akuten lymphati­schen Leukämie, der häufigsten Krebs­erkrankung bei Kindern. „Wir wollen verstehen, warum Kinder daran erkranken, und neue Therapieoptionen entwickeln“, so Prof. Bergmann. Auch weitere erbliche Erkrankungen, etwa des blutbildenden Systems, der Neurologie, der Sinnesorgane, der Frauenheilkunde und des Skeletts, stehen im Fokus der Forschenden.

Um diese Erkenntnisse schneller in die klinische Anwendung zu bringen, inte­griert das Institut modernste Verfahren zur Erbgut-Analyse in den Klinikalltag. Digitali­sierung und Künstliche Intelli­genz helfen, genetische Daten auszu­werten und Befunde künftig schneller und genauer zu verstehen. Das enge Zusammenspiel von Forschung und Klinik sieht die Institutsleiterin als eine besondere Stärke der Würzburger Universitätsmedizin.

Teil eines bundesweiten Modell­vorhabens

Auch auf nationaler Ebene ist das Institut stark vernetzt: Es leitet die Teilnahme des UKW am bundesweiten „Modellvorhaben Genom­sequenzier­ung“. Dabei wird an 27 deutschen Uni­kliniken das Erbgut von über 50.000 Menschen mit Krebser­krankungen oder dem Verdacht auf eine Seltene Erkrankung analysiert.

„Das erlaubt eine hochinnovative Diagnostik und führt zu Erkenntnissen, die auch auf andere Krankheits­bilder übertragbar sind“, erklärt Prof. Bergmann.

Medizinischer Fortschritt für die Menschen

Was in der Forschung beginnt, kommt so Schritt für Schritt in der Patienten­ver­sorg­ung an: „Mit der Etablierung des Instituts für klinische Genetik und Genom­medizin am UKW werden die bestehenden Möglichkeiten der perso­nalisierten Diagnostik und Therapie konsequent ausgebaut“, betont Prof. Dr. Tim von Oertzen, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKW.

Damit festigt das UKW seine Rolle als medizinischer Innovationsstandort und öffnet für die Menschen in der Region sowie darüber hinaus weitere Zugänge zu den neuesten Entwicklungen aus Forschung und Medizin.

Weitere Informationen sowie Ansprechpersonen finden Sie hier
Porträt von Prof. Anke Bergmann

Prof. Dr. med. Anke Katharina Bergmann MHBA

Direktorin Institut für Klinische Genetik und Genommedizin

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