„Kindermedizin ist Daseinsvorsorge, kein Wirtschaftsfaktor“
Die geplante Krankenhausreform bedroht die spezialisierte Versorgung von Kindern. Warum es nun Zeit ist, für die Jüngsten Alarm zu schlagen.
„Kindermedizin ist Daseinsvorsorge, kein Wirtschaftsfaktor“
Die geplante Krankenhausreform bedroht die spezialisierte Versorgung von Kindern. Warum es nun Zeit ist, für die Jüngsten Alarm zu schlagen.

Vor 175 Jahren war ihre Gründung ein Meilenstein: Die Universitäts-Kinderklinik Würzburg entstand aus der Erkenntnis, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind. Heute steht diese hochspezialisierte Medizin auf der Kippe. Prof. Christoph Härtel über die drohenden Folgen der aktuellen Gesundheitspolitik.
Vor 175 Jahren wurde die Universitäts-Kinderklinik als Pionierleistung gegründet, weil man erkannte, dass Kinder eine spezielle Medizin brauchen. Ist diese Erkenntnis heute in Gefahr?
Prof. Härtel: Für uns Mediziner ist sie eine Selbstverständlichkeit, aber in der Politik scheint sie verloren zu gehen. Die aktuelle Krankenhausreform plant an den Bedürfnissen von Kindern vorbei. Wenn sie so umgesetzt wird, dann ist eine spezielle Kinder- und Jugendmedizin, wie sie für viele seltene akute und chronische Erkrankungen des Kindesalters notwendig ist, nicht mehr existent. Die spezielle Kinder- und Jugendmedizin ist bedroht, wenn sie in der Landeskrankenhausplanung keine Rolle spielt. In der Erwachsenenmedizin wäre das undenkbar. Wir erleben also gerade eine historische Rückwärtsbewegung, gegen die wir uns lautstark wehren müssen.
Worin unterscheiden sich universitäre Kinderkliniken von anderen Krankenhäusern?
Wir sind Teil einer regionalen Grundversorgung, behandeln also alle gängigen pädiatrischen Erkrankungen in einem Umkreis von etwa 200 km. Gleichzeitig bieten wir aber hochspezialisierte Schwerpunkte an. In Würzburg sind das zum Beispiel die Frühgeborenen- und Kinderintensivmedizin, die Kinderonkologie mit Stammzelltransplantation, die Neuropädiatrie oder die Kinder-Rheumatologie.
Warum ist die Finanzierung dieser Spezialbereiche so problematisch?
Die Kindermedizin ist ein ganzheitliches Fachgebiet mit mehr als 500 möglichen Diagnosen, daher aber schlecht planbar. Die meisten Kinder sind ja glücklicherweise gesund. Wir beschäftigen uns oft mit Seltenen Erkrankungen. Ob wir in einem Jahr ein extrem frühgeborenes Kind mit 500 Gramm Geburtsgewicht betreuen oder zehn – wir müssen jederzeit darauf vorbereitet sein. Wir können unsere Kosten nicht einfach über die Zahl der behandelten Fälle decken. Wir brauchen eine Grundfinanzierung, damit wir jederzeit auf spezielle Notfälle und Seltene Erkrankungen vorbereitet sein können – unabhängig davon, wie viele solcher Fälle im letzten Jahr tatsächlich aufgetreten sind.
Wie gehen Sie mit diesen Problemen bislang um?
Wir in Würzburg kommen durch einen Mix aus häufigen akuten Erkrankungen und hochspezialisierten Angeboten zurecht. Wir haben hier glücklicherweise eine sehr konstruktive Zusammenarbeit mit unserem Management, das den besonderen Wert der Kinderklinik sieht. Aber viele andere Kinderkliniken schreiben rote Zahlen und müssen Personal reduzieren.
Was befürchten Sie, wenn die geplante Krankenhausreform so umgesetzt wird?
Wir befürchten vor allem drei Dinge. Erstens droht der Wegfall von spezialisierten Leistungen an großen Kliniken, weil sie sich für viele Häuser schlicht nicht mehr rechnen. Zweitens würden diese Kinder dann trotzdem behandelt – aber nicht interdisziplinär, sondern in Abteilungen für Erwachsene. Zahlreiche Studien, auch aus Deutschland, belegen, dass dies zu schlechteren Behandlungsergebnissen führt. So ist etwa die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Kindes mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma auf einer Kinderintensivstation deutlich höher als auf einer für Erwachsene. Und drittens geht die Elternperspektive verloren. In der Kinderheilkunde sind die Eltern Teil des Behandlungsteams. Ihre Anwesenheit und Mitarbeit sind entscheidend für die Genesung. Die Erwachsenenmedizin ist mit diesem familienorientierten Konzept verständlicherweise kaum vertraut.
Was müsste sich politisch und gesellschaftlich ändern, um die spezialisierte Kindermedizin zu sichern?
Politik, Krankenhausgesellschaften und Kostenträger müssen anerkennen, dass Kinder eine spezialisierte Versorgung brauchen. Medizin ist Daseinsvorsorge, kein reiner Wirtschaftsfaktor. Spezialisierte Versorgung abzuschaffen, weil sie zu komplex oder nicht attraktiv ist, kann kein Konzept sein. Zudem spielt die Prävention eine riesige Rolle. Gerade wir in der Pädiatrie können bei Kindern mit speziellen Risiken langfristige Erkrankungen wie Adipositas oder Bluthochdruck verhindern. Prävention kostet Zeit und bringt im System erst einmal kein Geld, spart aber langfristig enorme Summen. Dieses Umdenken muss stattfinden. Und ich bleibe optimistisch: Die jüngste Einführung einer passiven Impfung gegen das RS-Virus hat die Zahl der Krankenhausaufnahmen bei uns deutlich gesenkt. Hier wurde Geld in die Hand genommen und das System spürbar entlastet. Solche positiven Beispiele zeigen, dass es sich lohnt. Wir brauchen mehr davon.
Vor 175 Jahren war ihre Gründung ein Meilenstein: Die Universitäts-Kinderklinik Würzburg entstand aus der Erkenntnis, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind. Heute steht diese hochspezialisierte Medizin auf der Kippe. Prof. Christoph Härtel über die drohenden Folgen der aktuellen Gesundheitspolitik.
Vor 175 Jahren wurde die Universitäts-Kinderklinik als Pionierleistung gegründet, weil man erkannte, dass Kinder eine spezielle Medizin brauchen. Ist diese Erkenntnis heute in Gefahr?
Prof. Härtel: Für uns Mediziner ist sie eine Selbstverständlichkeit, aber in der Politik scheint sie verloren zu gehen. Die aktuelle Krankenhausreform plant an den Bedürfnissen von Kindern vorbei. Wenn sie so umgesetzt wird, dann ist eine spezielle Kinder- und Jugendmedizin, wie sie für viele seltene akute und chronische Erkrankungen des Kindesalters notwendig ist, nicht mehr existent. Die spezielle Kinder- und Jugendmedizin ist bedroht, wenn sie in der Landeskrankenhausplanung keine Rolle spielt. In der Erwachsenenmedizin wäre das undenkbar. Wir erleben also gerade eine historische Rückwärtsbewegung, gegen die wir uns lautstark wehren müssen.
Worin unterscheiden sich universitäre Kinderkliniken von anderen Krankenhäusern?
Wir sind Teil einer regionalen Grundversorgung, behandeln also alle gängigen pädiatrischen Erkrankungen in einem Umkreis von etwa 200 km. Gleichzeitig bieten wir aber hochspezialisierte Schwerpunkte an. In Würzburg sind das zum Beispiel die Frühgeborenen- und Kinderintensivmedizin, die Kinderonkologie mit Stammzelltransplantation, die Neuropädiatrie oder die Kinder-Rheumatologie.
Warum ist die Finanzierung dieser Spezialbereiche so problematisch?
Die Kindermedizin ist ein ganzheitliches Fachgebiet mit mehr als 500 möglichen Diagnosen, daher aber schlecht planbar. Die meisten Kinder sind ja glücklicherweise gesund. Wir beschäftigen uns oft mit Seltenen Erkrankungen. Ob wir in einem Jahr ein extrem frühgeborenes Kind mit 500 Gramm Geburtsgewicht betreuen oder zehn – wir müssen jederzeit darauf vorbereitet sein. Wir können unsere Kosten nicht einfach über die Zahl der behandelten Fälle decken. Wir brauchen eine Grundfinanzierung, damit wir jederzeit auf spezielle Notfälle und Seltene Erkrankungen vorbereitet sein können – unabhängig davon, wie viele solcher Fälle im letzten Jahr tatsächlich aufgetreten sind.
Wie gehen Sie mit diesen Problemen bislang um?
Wir in Würzburg kommen durch einen Mix aus häufigen akuten Erkrankungen und hochspezialisierten Angeboten zurecht. Wir haben hier glücklicherweise eine sehr konstruktive Zusammenarbeit mit unserem Management, das den besonderen Wert der Kinderklinik sieht. Aber viele andere Kinderkliniken schreiben rote Zahlen und müssen Personal reduzieren.
Was befürchten Sie, wenn die geplante Krankenhausreform so umgesetzt wird?
Wir befürchten vor allem drei Dinge. Erstens droht der Wegfall von spezialisierten Leistungen an großen Kliniken, weil sie sich für viele Häuser schlicht nicht mehr rechnen. Zweitens würden diese Kinder dann trotzdem behandelt – aber nicht interdisziplinär, sondern in Abteilungen für Erwachsene. Zahlreiche Studien, auch aus Deutschland, belegen, dass dies zu schlechteren Behandlungsergebnissen führt. So ist etwa die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Kindes mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma auf einer Kinderintensivstation deutlich höher als auf einer für Erwachsene. Und drittens geht die Elternperspektive verloren. In der Kinderheilkunde sind die Eltern Teil des Behandlungsteams. Ihre Anwesenheit und Mitarbeit sind entscheidend für die Genesung. Die Erwachsenenmedizin ist mit diesem familienorientierten Konzept verständlicherweise kaum vertraut.
Was müsste sich politisch und gesellschaftlich ändern, um die spezialisierte Kindermedizin zu sichern?
Politik, Krankenhausgesellschaften und Kostenträger müssen anerkennen, dass Kinder eine spezialisierte Versorgung brauchen. Medizin ist Daseinsvorsorge, kein reiner Wirtschaftsfaktor. Spezialisierte Versorgung abzuschaffen, weil sie zu komplex oder nicht attraktiv ist, kann kein Konzept sein. Zudem spielt die Prävention eine riesige Rolle. Gerade wir in der Pädiatrie können bei Kindern mit speziellen Risiken langfristige Erkrankungen wie Adipositas oder Bluthochdruck verhindern. Prävention kostet Zeit und bringt im System erst einmal kein Geld, spart aber langfristig enorme Summen. Dieses Umdenken muss stattfinden. Und ich bleibe optimistisch: Die jüngste Einführung einer passiven Impfung gegen das RS-Virus hat die Zahl der Krankenhausaufnahmen bei uns deutlich gesenkt. Hier wurde Geld in die Hand genommen und das System spürbar entlastet. Solche positiven Beispiele zeigen, dass es sich lohnt. Wir brauchen mehr davon.