„Wahrscheinlich sitzt er schon beim Tiepolo“
Über den Maler und Grafiker Curd Lessig und seinen Lebensabend in der Seniorenwohnanlage am Hubland.
Gerne denkt Eva Lessig an das letzte Jahr zurück, an die gemeinsamen Tage in dem kleinen, gemütlichen Café der Seniorenwohnanlage am Hubland. Hier saß sie oft mit ihrem Mann Curd, blätterte in Fotoalben und Reisebüchern, erzählte ihm liebevoll von den zahlreichen Studienreisen – für sie ein wertvoller Ausklang. Auf den Reisen, so sagt sie, hatten sie eine wunderbare Zeit gehabt, Block und Stifte waren immer dabei. Er ist schnell gewesen, ihr Mann, hat Augenblicke mit sicheren Strichen erfasst. Sie beschreibt ihn wie einen Brunnen, der fließt. Schon früh faszinierten sie seine Begabungen. Auch heute schaut sie seine Reiseskizzen noch gerne durch, bereitet mit ihrer Familie eine Ausstellung im Spitäle vor, ist verzückt und empfindet die Arbeiten als „zauberhaft“.
Der Würzburger Künstler und Kulturpreisträger der Stadt war äußerst vielseitig und ist auch für seine Arbeiten im öffentlichen Raum, die das Leben der Stadt seit den 1950er Jahren begleiten, überaus bekannt. Curd Lessig verstarb im Alter von 94 Jahren am 23. Mai 2019. Die Entscheidung, ihn in einem Pflegeheim unterzubringen, fiel Eva Lessig und ihrer Familie anfangs gar nicht leicht. Irgendwann aber ging es einfach nicht mehr zu Hause. Der Pflegedienst, der morgens für eine halbe Stunde kam, reichte nicht aus. Oft stürzte ihr Mann, weil er aufgestanden war, um sein Atelier aufzuräumen. Die älteste Tochter erinnert sich: „Oft sind wir dann auch verzweifelt, weil er eigentlich unglücklich mit der Situation war. Er wollte das Atelier aufräumen und hat gemerkt, dass er einfach nicht mehr kann. Das war auch für ihn eine schwierige Situation.“ Gerne hätte Eva Lessig ihren Curd dennoch daheim behalten, war aber auch selbst für einige Zeit im Krankenhaus und auf Reha. Zwar hat ihr Mann seine Angehörigen bis zum letzten Augenblick erkannt, aber die räumliche Wahrnehmung mehr und mehr verloren, hatte sich in seinem eigenen Haus nicht mehr orientieren können.
Im Atelier: Selbstportrait des Künstlers
Eva Lessig beschreibt die Zeit in der Seniorenwohnanlage am Hubland als äußerst angenehm und große Entlastung. Sie bringt es auf den Punkt: „Wenn ich nach meinen Besuchen ging, hatte ich immer ein gutes Gefühl, und als ich kam, war ich willkommen. Wir waren alle miteinander sehr zufrieden. Mein Mann war natürlich nicht so glücklich, aber das kam auch, weil er nicht so orientiert war. Viele der Bewohner sind ja auf der Suche und wissen nicht einmal wonach. Sie alle haben diesen Verlust, vielleicht werde ich ihn später auch haben. Aber dieses Suchen ist ja auch ein Suchen nach der eigenen Identität. Wenn mein Mann beim gemeinsamen Ansehen seiner Bücher seine Signatur erkannte, deutete er darauf und meinte, hier steht Curd Lessig, das bin ich – und sie glauben mir es nicht. Aber natürlich zweifelte keiner daran.“
Eva Lessig blieb meistens, bis ihr Mann ins Bett ging. Diese letzte Zeit war für sie tröstlich, denn zu Hause hätte sie mehr, viel mehr Stress gehabt. Sie weiß, dass sich die Mitarbeiter dort die größte Mühe geben: „Manchmal schafft man es halt nicht. Der Arbeitstag ist oft schwer. Ich kenne das noch, habe viele Jahre mit Menschen mit Behinderung gearbeitet, Jahrzehnte. Den pflegerischen Beruf kann eigentlich nur der wirklich Liebende ausüben, der, der es von innen heraus macht – der auch seine Grenzen kennt, der sich immer fortbildet, damit er nicht so abstumpft. Das stimmt doch, oder? Das ist wirklich nicht einfach. Das ist ein Beruf, in den man viel investiert, aber auch sehr viel gewinnt.“
Amin al Hassan, Betreuungskraft der Senioreneinrichtungen des Landkreises Würzburg, beschreibt nachdenklich: „Bewohner kommen, weinen, lachen, erzählen, gehen wieder weg – immer wieder Abschied nehmen, das ist traurig.“ Er pflegte ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu Curd Lessig und schaffte es sogar, dass beide zusammen zeichneten. Sein „Freund“ Curd hatte in guten Momenten seine Fähigkeit, sein Umfeld zu erfassen und auf das Papier zu bringen, wieder aufleben lassen können. So entstanden unter anderem auch Zeichnungen von Mitbewohnern. Als das Haus in den 1960er Jahren eröffnet wurde, hatte der Künstler – damals mitten im Leben – genau hier ein Zeichen gesetzt. Das zwölf mal drei Meter große Wandbild (eine kleine Szene daraus ist auf der Titelseite zu sehen) ziert auch heute noch eine gesamte Wandfläche im modernen Veranstaltungssaal der Seniorenwohnanlage am Hubland.
Toleranz und Humor sind und waren die zwei wichtigsten Dinge für das Ehepaar – viel mehr bräuchte man nicht. Mit Humor wäre alles nicht so ernst. Dass beide diese Tugenden beherzigten, spürt man ganz deutlich.
Eva Lessig erzählt zum Abschluss eine kurze „unglaubliche“ Geschichte. Ein Tag, nachdem ihr Mann gestorben war, saß sie mit ihren Töchtern im Garten. Als eine der drei Frauen nach oben sah, erblickte sie in diesem Augenblick eine lustige Wolke – ganz klein – die aussah wie ein rennender Hund. Nun schauten alle. „Dann hat sie sich verwandelt, verformt in ein Pferd und sich dann: Puff, aufgelöst! Ja, das war unglaublich. Ich habe noch nie eine Wolke vor mir auflösen sehen, das ging so schnell. Das war unser Papa!“, schildert eine der Töchter. Seine Frau beschreibt den Hund, wie den, den ihr Mann immer gezeichnet hat, das Pferd auch: „Dann hab ich gesagt, jetzt ist der Curd angekommen. Jetzt hat er uns eine Nachricht geschickt. Dieser Hund erscheint oft in seinen Zeichnungen, den gibt es gar nicht. Das ist der Hund: sein Hund! Das haben wir hier erlebt.“ Und die Tochter fügt hinzu: „Ja, das war wirklich passend, das glaubt uns wahrscheinlich kein Mensch, aber es ist so!“
Die Familie ist davon überzeugt, dass es Curd Lessig gut geht, er angekommen ist. „Wahrscheinlich sitzt er schon beim Tiepolo oder beim Rembrandt oder vielleicht auch beim Dürer“, schmunzelt Eva Lessig. Sie wünscht jedem Menschen so ein reiches Leben und schönes Ende – ganz friedlich und gemeinsam.
Weitere Infos
Am 2. November 2019 eröffnet die Ausstellung „Ein Leben für die Kunst“ (Curd Lessig zum 95sten) im Spitäle an der Alten Mainbrücke in Würzburg. Hier werden Werke aus den 1950er Jahren und spätere Arbeiten gezeigt: Acrylbilder, Gouachen, Landschaften und Zeichnungen mit antiken Themen.
Die Betreuung ihres Mannes in der Seniorenwohnanlage am Hubland beschreibt Eva Lessig als äußerst angenehm und eine große Entlastung.