Selber kochen oder Sushi?
Ambulant betreute Wohngemeinschaften als neue Lebensform
Wie wollen wir im Alter leben, wenn wir einmal nicht mehr allein zurechtkommen? Den meisten fallen da nur zwei Alternativen ein: Entweder muss ein Pflegedienst für die eigenen vier Wände her oder es geht ins Seniorenheim. Doch es gibt eine dritte, innovative Wohnform, die viele noch nicht kennen, welche aber in Zukunft immer wichtiger werden dürfte: die ambulant betreute Wohngemeinschaft oder auch Senioren-WG.
WG: Die zwei Buchstaben erzeugen vor dem inneren Auge meist Bilder von chaotischen Studentenbuden, gemütlichen Küchenpartys und jungen Erwachsenen, die sich um den Putzplan streiten. Doch im Grunde geht es bei dieser Wohnform darum, dass sich Menschen in ähnlichen Lebenssituationen Wohnraum teilen – um Geld zu sparen und um nicht allein zu sein. Genau das kann auch für Senioren interessant sein. „Auch hilfs- und pflegebedürftige Menschen wünschen sich Wohn- und Lebensformen, die ihnen ein unabhängiges, individuelles und möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen“, sagt Eva von Vietinghoff-Scheel, Prokuristin des Kommunalunternehmens des Landkreises Würzburg (KU). Ambulant betreute Wohngemeinschaften haben deshalb einen festen Platz im Seniorenpolitischen Gesamtkonzept, das die Versorgung älterer Menschen für den Landkreis Würzburg regeln soll. „In einer solchen Wohngemeinschaft leben zwei bis maximal zwölf pflege- oder betreuungsbedürftige Menschen zusammen“, sagt Elisabeth Kahr vom KU. Sie teilen sich ein Wohn- und Esszimmer sowie eine Küche, wo gemeinsam gekocht, gegessen, gespielt, geredet wird – am besten in einer großen Wohnküche. Da jeder sein eigenes Zimmer mit Wohn- und Schlafbereich hat, bleibt aber auch die Privatsphäre erhalten.
Die wichtigsten Unterschiede zum Pflegeheim: Die Bewohner sind Mieter und können selbst entscheiden, wie sie leben möchten. Die Atmosphäre ist wohnlich und gemütlich, eigene Sachen können mitgebracht werden. „Es gibt keinen Träger. Stattdessen entscheidet ein Selbstverwaltungsgremium aus Bewohnern und Angehörigen darüber, wie das Zusammenleben gestaltet werden soll: von der Auswahl des Pflegediensts über das Essen bis hin zu der Frage, ob in den Räumen geraucht wird, ob Haustiere erlaubt sind oder wer sich um den Garten kümmert“, so Eva von Vietinghoff-Scheel.
Derzeit gibt es in Deutschland etwa 3000 ambulant betreute WGs, nur eine davon befindet sich im Landkreis Würzburg: In Reichenberg wird das Konzept bereits seit einigen Jahren gelebt. Das KU entwickelt derzeit ein Konzept für eine Senioren-WG in Rimpar. „Kleinere Kommunen kamen auf uns zu mit dem Wunsch nach neuen Betreuungsformen, weil nicht in jeder Kommune ein großes Seniorenheim betrieben werden kann“, so Eva von Vietinghoff-Scheel. „Ambulant betreute WGs können eine Alternative sein, um auch in kleineren Gemeinden Wohnformen für Senioren anzubieten.“
Spatenstich in Rottendorf: Neben Reichenberg entsteht hier die zweite Senioren-WG im Landkreis Würzburg.
In der Vergangenheit hat sich das Konzept bereits für Demenzkranke mit den sogenannten Demenz-WGs bewährt. In Zukunft soll es auch Menschen mit körperlichem Pflegebedarf ermöglicht werden, der Vereinsamung im Alter zu entgehen und dennoch selbstbestimmt zu leben – und zwar auch mit hohem Pflegebedarf und durchaus bis zum Lebensende.
Herzstück jeder Senioren-WG ist das Gremium der Selbstbestimmung, welches regelmäßig zusammenkommt und Entscheidungen über den gemeinsamen Alltag trifft. Vom Mietvertrag bis zur Wahl des Pflegedienstes müssen zahlreiche Rahmenbedingungen geregelt werden. Für Privatpersonen ist das kaum zu stemmen. Das KU tritt deshalb in Rimpar als Moderator und Koordinator auf und entwickelt ein Konzept und Verträge für die WG, die im Frühjahr 2020 starten sollen. „Sobald die Mieter eingezogen sind, übernimmt das Gremium der Selbstbestimmung die Verantwortung. Wir stehen aber weiterhin als Berater zur Verfügung“, sagt Elisabeth Kahr. Schließlich sollen die WGs auch langfristig bei hoher Qualität funktionieren.
Zurzeit werden die Räume des ehemaligen Seniorenheims umgestaltet. In den WGs soll nicht die Pflege, sondern das Wohnen im Vordergrund stehen. Deshalb wird zum Beispiel besonders auf Licht und Farben geachtet. Auch in Rottendorf sollen zwei WGs entstehen, weitere Gemeinden im Landkreis Würzburg haben Interesse angemeldet. „Wir rechnen damit, dass die Nachfrage in Zukunft steigen wird“, sagt Eva von Vietinghoff-Scheel. Auch an der Fachhochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) ist die neue Wohnform ein Thema: Studierende des Bachelor-Studiengangs Management im Gesundheitswesen haben, begleitet von den Lehrbeauftragten Prof. Dr. Alexander Schraml und Eva von Vietinghoff-Scheel, einen Leitfaden mit vielen praktischen Tipps zur Gründung einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft erarbeitet. „Auch hier war das Interesse der Kommunen und ambulanten Pflegedienste durchaus spürbar“, so Elisabeth Kahr.
Wie wir im Alter leben wollen? Möglichst normal und wie zu Hause, glaubt Eva von Vietinghoff-Scheel: „Heute selber kochen, morgen Sushi und übermorgen Pizza bestellen, all das geht in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft. Die Voraussetzungen sind quasi ideal. Das kann wirklich gut funktionieren.“
Viele Aktivitäten können gemeinsam erlebt werden – dennoch bleibt die Privatsphäre des einzelnen erhalten, da jeder Bewohner sein eigenes Zimmer mit Wohn- und Schlafbereich hat. Foto: Michael Ehlers
In einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft teilen sich Senioren ein Wohn- und Esszimmer sowie eine Küche, wo gemeinsam gekocht, gegessen, gespielt, geredet wird. Beide Bilder zeigen die ambulant betreute Wohngemeinschaft in Reichenberg. Foto: Michael Ehlers