Hier wird jeder aufgefangen
In Winterhausen kümmert sich ein agiles Helfernetzwerk um Senioren und Behinderte
Hier wird jeder aufgefangen
In Winterhausen kümmert sich ein agiles Helfernetzwerk um Senioren und Behinderte
Plötzlich flogen, eingewickelt in ein Stück Papier, 20 Pfennige auf die Straße. „Bub, hol rasch ein Päckchen Salz!“, rief es aus dem Fenster. Dies eine typische Szene für Holger Zobel, wenn er an seine Kindheit in Winterhausen zurückdenkt. Zobel war als Kind eingebettet in die Dorfgemeinschaft. Er musste ran, wenn es was zu tun gab, bekam aber auch jede Menge Hilfe, wenn er in Not geriet. Heute sieht es der 71-Jährige als seine Aufgabe an, anderen Menschen zu helfen. Das tut er im „Arbeitskreis Helfernetzwerk“.
Winterhausen wäre für Bürgermeister Wolfgang Mann ohne das 2009 gegründete Helfernetzwerk nicht mehr denkbar. 14 Ehrenamtliche gehören dem Arbeitskreis derzeit an. Einige sind sogar gleich mehrfach engagiert. So ist Monika Wenger nicht nur Helferin: Die 61-Jährige fungiert seit Oktober 2014 zugleich als Seniorenbeauftragte der Gemeinde. Auch Manfred Urban hat eine Doppelfunktion. Der „reingeschmeckte“ Winterhäuser, der aus Hessen stammt und seit 1988 in der Marktgemeinde lebt, bekleidet seit knapp zwei Jahren parallel zu seiner Helfertätigkeit das Amt des gemeindlichen Behindertenbeauftragten.
Als das Helfernetzwerk gegründet wurde, ließ die Nachfrage zunächst zu wünschen übrig, erinnert sich Sprecherin Edith Zobel. Zwei Jahre dauerte es, bis die Winterhäuser Vertrauen fassten und erste Hilfewünsche äußerten. Heute vergeht keine Woche ohne zwei oder drei Nachfragen nach Unterstützung. Die Helferinnen und Helfer aus dem Netzwerk fahren mit Senioren einkaufen oder begleiten sie zum Arzt. Gemeinsam werden Medikamente in der Apotheke abgeholt. Wer krank ist und einsam zu Hause sitzt, erhält regelmäßig Besuch.
Stark wird das Netzwerk durch die ausgeprägte Bündnisarbeit. Die Mitglieder wissen, welche Einrichtungen und Organisationen im Landkreis oder der Stadt Würzburg Verantwortung für welches Themenfeld übernommen haben. Man kennt das Engagement des Vereins HALMA e. V., hat zur Wohn- und zur Pflegeberatung Kontakt.

Ein starkes Team für Winterhausen (von links): Holger und Edith Zobel, Seniorenbeauftragte Monika Wenger, Bürgermeister Wolfgang Mann und Behindertenbeauftragter Manfred Urban.
| Gefühl der Verbundenheit
Dass sich in seiner Gemeinde so viele Menschen freiwillig um Mitbürgerinnen und Mitbürger kümmern, ist für Bürgermeister Wolfgang Mann nicht hoch genug anzuerkennen. „Ich könnte für das Helfernetzwerk täglich eine Kerze anzünden“, sagt er. Mann weiß, dass es nur in wenigen Gemeinden so viele Männer und Frauen gibt, die sich derart intensiv mit den anderen Gemeindemitgliedern verbunden fühlen, dass sie über Jahre hinweg jede Woche Freizeit opfern.
Er sei bereit, Verantwortung für andere zu übernehmen, weil er selbst schon so viel Gutes von anderen bekommen habe, betont Holger Zobel: „Das will ich zusammen mit meiner Frau nun im Ruhestand zurückgeben.“ Zobels Engagement hat jedoch noch eine zweite Wurzel. Obwohl man ihm überhaupt nichts anmerkt, ist der Senior stark beeinträchtigt: „Ich habe einen Grad der Behinderung von 90.“ Gesundheitlich sei er schon tief unten gewesen. Als Helfer im Netzwerk möchte er Menschen, die in eine akute Krise geraten sind, Mut machen, durchzuhalten, bis es irgendwann wieder aufwärts geht.
Holger Zobel ist nicht der einzige, der sich aus eigener Betroffenheit für seine Mitbürger einsetzt. Auch Seniorenbeauftragte Monika Wenger weiß, wovon sie spricht, wenn sie Winterhäuser, die sich an sie wenden, berät. Wenger pflegte ihre 2013 verstorbene Mutter. Seit zehn Jahren kümmert sie sich um ihren pflegebedürftigen Mann. „Als pflegende Angehörige muss man oft für seine Rechte kämpfen“, sagt die gelernte Buchhalterin. Viel zu schnell, weiß sie, geben Angehörige den Kampf gegen Behörden oder Versicherungen auf. Sie hilft nicht zuletzt, Widersprüche ein- und Rechtsansprüche darzulegen.
| "Man darf nie resignieren"
Auch Manfred Urban übernimmt aus eigener Betroffenheit Verantwortung für Gemeindemitglieder, die mit ihrer aktuellen Situation überfordert sind. Der ehemalige Angestellte, den es ebenfalls vor einigen Jahren gesundheitlich schwer gebeutelt hat, weiß, wie wichtig es ist, sich nicht der Resignation oder der Verzweiflung zu überlassen. Er unterstützt seine Mitbürger deshalb nicht nur dabei, Grade der Behinderung zu beantragen oder Rentenansprüche abzuklären. Auch er macht Mut und versucht, neue Perspektiven aufzuzeigen.
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Helfernetzwerks sind davon überzeugt, dass eine Gemeinde nur dann lebendig und zukunftsfähig ist, wenn sich die Bewohner freiwillig engagieren. Die Volunteers sehen es dabei nicht nur als ihre Pflicht an, sich um einzelne Senioren oder Menschen mit Behinderung zu kümmern. Ihre Motivation, so Edith Zobel, geht weit darüber hinaus: Das Netzwerk will die gesamte Gemeinde aktiv mitgestalten.
So wurden schon Trimmgeräte angeschafft, außerdem setzt sich das Netzwerk dafür ein, dass in Winterhausen noch mehr Ruhebänke aufgestellt werden. Das Geld für derartige Aktionen stammt aus Spenden, die Senioren beispielsweise für Fahrdienstleistungen geben. Außerdem ist es Usus geworden, dass das Netzwerk bei Bürgerversammlungen bewirtet. Auch die hier generierten Erlöse fließen in den Ankauf von Bänken und Fitnessgeräten.

Helfernetzwerk: Zurzeit gehören dem Arbeitskreis 14 ehrenamtliche Personen an. Allgemeine Hilfen, zum Beispiel beim Einkaufen, oder Anfragen an die Wohn- und Pflegeberatung erledigen die Mitglieder des 2009 gegründeten Helfernetzwerks Winterhausen.

Weitere Informationen
Winterhausen ist eine unmittelbar am Main gelegene Marktgemeinde mit rund 1.500 Einwohnern. Den Mittelpunkt des Orts bildet der Rathausplatz mit der Kirche „St. Nikolaus“, Kantorat und Rathaus. Mehr als 20 Prozent der Einwohner Winterhausens sind heute mindestens 65 Jahre alt. Dieser Anteil wuchs in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich. Seit 2002 ist Wolfgang Mann Bürgermeister.