Gute Pflege braucht Zeit und Herz
Ein menschlicher, würdevoller Umgang steht für den neu gewählten Landrat Thomas Eberth im Vordergrund
Herr Eberth, herzlichen Glückwunsch zur Wahl und Vereidigung als Landrat des Landkreises Würzburg. Was gefällt Ihnen bisher am besten an Ihrem neuen Amt? Mit den unterschiedlichsten Menschen und Themen in Berührung zu kommen und mich und unsere Heimat weiter entwickeln zu dürfen. Dafür braucht man Entscheidungsfreude, ein allzeit offenes Ohr und, öfter als gedacht, starke Nerven [lacht]. Es ist nämlich schon eine Herausforderung, alles zu verstehen, was passiert, da das Amt sehr vielfältig ist. Ich tue aber mein Bestes, um auf alle Dinge richtig zu reagieren, damit ich den Landkreis weiter voranbringen kann.
Mit der Coronakrise wurden Sie gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit vor ein Problem gestellt, das jeden von uns, insbesondere ältere Menschen, betrifft. Was können wir aus der Krise für unser Gesundheits- und Pflegesystem lernen? Die Coronakrise zeigt eindrucksvoll, wie hervorragend unser Gesundheits- und Pflegesystem funktioniert. Ich treffe in unseren Einrichtungen auf engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von der Hygienekraft über Pflegerinnen und Pfleger bis hin zu Ärztinnen und Ärzten, die mit ganzem Einsatz ans Werk gehen. Das erfüllt mich mit Stolz. Die Krise hat aber auch gezeigt, dass die einzelnen Einrichtungen noch mehr zusammenwachsen müssen, um noch schlagkräftiger zu werden.
Gustav Heinemann sagte einmal: „Eine Gesellschaft ist so viel wert, wie sie ihre alten Menschen behandelt.“ Welchen Stellenwert lassen Sie den Themen Gesundheit und Pflege zukommen? Auch ohne mein Zutun: Unsere Einrichtungen tun sehr viel Gutes – und das vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Gesellschaft. Die Babyboomer-Generation, also die Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, erreichen nun ein Alter, in dem sie vermehrt Hilfe und Pflege benötigen. Die Zahl der Pflegefälle wird also steigen. Zudem werden die Menschen heute anders alt. Seniorinnen und Senioren, solange sie mobil sind, stellen heute ganz andere Ansprüche als früher, sie erwarten Angebote für ihre individuellen Bedürfnisse. Hier müssen wir als Landkreis gemeinsam mit den Gemeinden noch mehr auf die Beine stellen.
Pflege erfordert Mitgefühl. Gleichzeitig ist der professionelle Pflegebereich wohl eine der größten Planwirtschaften in unserem Lande. Wie gelingt dem Landkreis der Spagat zwischen wirtschaftlichen Notwendigkeiten und menschlich würdevoller Betreuung? Eine gute Pflege braucht neben einer soliden Finanzierung vor allem zwei Dinge: Zeit und Herz. Man kann die Frage stellen, ob die Starrheit des Systems diese Prämissen fördert, aber diese Diskussion liegt außerhalb meiner Zuständigkeit. Ich stehe einer Behörde vor, die qua ihrer Zuständigkeit loben darf und schimpfen muss. Wir haben die Aufgabe zu überprüfen, ob alles passt, von der Dokumentation über die Pflegestandards bis hin zu Hygienekonzepten. Und wir können belegen: Unsere Einrichtungen leisten hervorragende Arbeit im menschlich würdevollen Umgang – trotz der vorgegebenen, finanziell engen Spielräume. Genau daran müssen wir weiter arbeiten!
Stationäre oder ambulante Pflege: Was ist besser? Das kommt auf die individuelle Situation an. Die ambulante Pflege ist nach Möglichkeit vorzuziehen. Aber das klappt nicht überall. In der Stadt etwa funktioniert eine ambulante Betreuung im Durchschnitt weniger gut, weil die Menschen oft allein leben. Ganz anders auf dem Land, wo es doch noch öfter Familienverbünde gibt und eine ambulante Pflege leichter zu realisieren ist. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass die Pflege den Familienmitgliedern viel abverlangt, weshalb wir im Landkreis Möglichkeiten der Kurzzeitpflege anbieten, um Entlastung für pflegende Angehörige zu schaffen.
Landrat Thomas Eberth (Mitte) mit Eva von Vietinghoff-Scheel und Prof. Dr. Alexander Schraml, Vorstände des Kommunalunternehmens und Geschäftsführer der Senioreneinrichtungen des Landkreises Würzburg
Die Menschen der Babyboomer-Generation erreichen nun ein Alter, in dem sie vermehrt Hilfe und Pflege benötigen – eine Herausforderung für das Ehrenamt: Ehrenamtsbeauftragte Kerstin Gressel und Landrat Thomas Eberth.
Sie werben für die Nutzung der Corona-Warn-App, um die Pandemie weiterhin gut kontrollieren zu können: Landrat Thomas Eberth (r.), Eva-Maria Löffler, Leiterin des Katastrophenschutzes am Landratsamt Würzburg und Paul Justice, Geschäftsführer des Zweckverbands für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung Würzburg.
Wo gibt es aus Ihrer Sicht im Landkreis noch Mängel? Und was unternehmen Sie dagegen? Prekär ist die Lage bei der hausärztlichen Versorgung. Das Durchschnittsalter der Hausärzte liegt bei circa 62 Jahren und oft findet sich kein Nachfolger, keine Nachfolgerin. Hier müssen wir Lösungen finden, um einer Unterversorgung entgegenzuwirken. Unser Plan ist es, kassenärztliche Sitze zu erwerben und Ärztinnen und Ärzte einzustellen, die dann in unseren Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) arbeiten und die Patientinnen und Patienten betreuen. Damit nehmen wir ihnen organisatorische und verwaltungstechnische Arbeiten ab, so dass sie sich besser auf ihre eigentliche Arbeit am Menschen konzentrieren können. Wir wollen Ärztinnen und Ärzten attraktive Angebote machen, die sie kaum noch ausschlagen können. Das läuft jetzt an, erst in kleineren Orten, später in größeren. In Waldbrunn etwa entsteht gerade ein erstes MVZ, das unter der Trägerschaft der Main-Klinik Ochsenfurt gemeinsam mit der Gemeinde Waldbrunn betrieben werden soll.
Pflege bedeutet auch Papierkrieg. Was unternimmt der Landkreis, um Betroffene durch den Paragrafendschungel zu lotsen? Zugegeben, wir brauchen viel Dokumentation und daher Bürokratie – und können sie leider nicht wesentlich verringern. Gleichwohl bieten wir eine ganze Reihe an Dienstleistungen an, um Antragsteller zu beraten und zu unterstützen. Wir geben maximale Orientierung, sowohl durch die Pflegeberatung, die sich an Kunden wendet, als auch durch Pflegelotsen, die unser Personal für die aktuellen Fragen fit macht und sie in allen rechtlichen Fragen immer auf dem neusten Stand hält.
Wie kann die Attraktivität des Pflegeberufs gesteigert werden? Indem wir zum Beispiel in die Ausbildung investieren. Außerdem muss der Beruf attraktiver werden, keine Frage. Meine Meinung: Es liegt nicht nur am Geld, wie vielerorts behauptet wird. Mehr Geld allein lockt keine neuen Pflegeschüler an. Es muss vermittelt werden, mit welcher Leidenschaft dieser Beruf ausgeübt werden kann und was man alles bewirken und Gutes tun kann. Und zudem – das kann die öffentliche Hand nur bedingt steuern – muss die Wertschätzung in der Bevölkerung gegenüber dieser Berufsgruppe steigen. Was bei der Diskussion allerdings nicht vergessen werden darf: Nicht jeder ist geeignet für diesen Beruf. Er verlangt nach hohem körperlichen Einsatz und hoher Empathiefähigkeit. Pflege ist niemals ein einfacher Job. Daher gilt allen, die in Pflegeberufen arbeiten, meine Anerkennung und mein Respekt.
Wie sieht die Zukunft der Pflege im Landkreis aus? Wir werden das seniorenpolitische Gesamtkonzept neu erarbeiten und konsequent umsetzen. Dies umfasst mehr als nur Fragen der Gesundheits- und Pflegesituation, es betrifft die Seniorenarbeit im Ganzen, also auch das Angebot an Freizeitmöglichkeiten, zum Beispiel Seniorenwochen oder Stammtischrunden. Hierfür ist es nötig, dass Gemeinden und der Landkreis noch enger zusammenarbeiten. Weitere Zukunftsthemen, die wir genau beobachten, sind etwa unterstützende Maßnahmen durch Künstliche Intelligenz bzw. Pflegeroboter sowie die Digitalisierung. Hier schlummern noch ungeahnte Möglichkeiten, die auch in der Seniorenarbeit angedacht werden müssen. Auch das Thema Wohnraum ist uns wichtig.
Wann werden wir Sie als Landrat in der Praktikantenrolle in der Main-Klinik oder in einem Pflegeheim erleben? Sobald es mein Terminkalender zulässt [lacht]. Ganz unbekannt ist mir diese Arbeit aber nicht, da ich schon in meinem vorherigen Amt als Bürgermeister in Pflegeheimen mitgearbeitet habe und weiß, welche hervorragende Arbeit dort täglich geleistet wird. Dennoch freue ich mich auf die Eindrücke!