In der Krise nicht allein
Gerta und Ernst Halbleib hatten Glück: Sie konnten den Lockdown im Haus Franziskus in Ochsenfurt gemeinsam durchstehen. Andere hatten es schwerer.
Es ist sonnig, aber noch etwas kühl an diesem Vormittag im August. Gerta Halbleib posiert fürs Foto mit ihrem Mann Ernst. Heute feiern sie das 65. Jubiläum ihrer Hochzeit. „Bald muss man eine eiserne Kette um uns legen“, witzelt die 90-Jährige. Beide waren Kinder, als der Zweite Weltkrieg tobte. In der Nachkriegszeit sind sie unter schwierigen Bedingungen ins Berufsleben gestartet, haben während der Wirtschaftswunderjahre eine Familie gegründet. Man kann sagen, sie haben interessante Zeiten erlebt. „Manchmal komme ich mir vor wie ein Geschichtsbuch“, sagt Gerta Halbleib. Und nun die Coronakrise.
Im Haus Franziskus in Ochsenfurt, wo die beiden seit zwei Jahren wohnen, ist inzwischen wieder etwas mehr Leben eingekehrt: Auf der Terrasse sitzen einige Bewohner zusammen und hören Musik. Doch von der Normalität ist man noch weit entfernt, und der Schrecken des Lockdowns sitzt allen noch in den Knochen. Wie war das im März, als Corona nach Deutschland kam und das Leben auch in den Senioreneinrichtungen auf den Kopf stellte? Alles ging ganz schnell, erinnert sich Gerta Halbleib. Immer ruhiger sei es geworden, erst war die Cafeteria leer, dann wurde sie geschlossen. Das übliche Programm mit Gymnastik, Beschäftigungsangeboten und Veranstaltungen fand nicht mehr statt. Dann wurde dichtgemacht: Kein Besuch, keine Ehrenamtlichen durften mehr ins Haus.
| Ruhig, fast unheimlich
Zu dem Zeitpunkt hatte sich schon herumgesprochen, dass Skiurlauber „etwas mit nach Deutschland gebracht“ hatten. Über Radio, Zeitung, Fernsehen und von den eigenen Kindern erfuhren die Halbleibs vom Coronavirus. Ganz eigen, fast leblos sei die Stimmung im Haus gewesen. Angst hatten gesund + gepflegt 11 sie nicht. „Aber wir haben uns schon gefragt: Was kommt da auf uns zu?“ Insgesamt wirken die beiden gelassen, wenn sie vom Lockdown erzählen. Sie seien aber auch privilegiert gewesen, weil sie immer zu zweit waren. Andere Bewohner, bei denen der ansonsten regelmäßige Angehörigen-Besuch plötzlich ausblieb, hatten es da deutlich schwerer. Vor allem den Demenzkranken, die gewohnte Abläufe brauchen, machten die Besuchsbeschränkungen zu schaffen. Wie soll man ihnen erklären, warum die Nichte, die sonst täglich da war, nun plötzlich gar nicht mehr kommt? Manche Bewohner hätten sich daraufhin komplett zurückgezogen, andere sogar selbstverletzendes Verhalten gezeigt, erzählt die Einrichtungsleiterin Susanne Korbmann.
Wie das mit dem Lockdown für die Mitarbeiter war? „Anstrengend“, sagt der stellvertretende Pflegedienstleiter Deli Kastrati, nachdem er tief Luft geholt hat. „Wir waren sehr besorgt um die Bewohner.“ Susanne Korbmann war aber auch positiv beeindruckt: von der Solidarität und dem Teamgeist unter den Mitarbeitern. „Der psychische Druck war groß, aber die Pflegenden haben ihn nicht mit in die Einrichtung gebracht.“ Auch die Halbleibs betonen ihren großen Respekt vor den Mitarbeitenden, die sie wie gewohnt perfekt umsorgt haben und die sich den Ausnahmezustand nicht haben anmerken lassen.
Das Ehepaar Halbleib freute sich sehr über das Überraschungskonzert von „BrässBändl“ zum Muttertag. Eine tolle Aktion in bewegten und bewegenden Zeiten!
| In Maßen kehrt der Alltag zurück
Inzwischen sind Aktivitäten in kleinen Gruppen wieder erlaubt, jeder Bewohner darf pro Tag eine Stunde lang einen Besucher empfangen, Gottesdienste und andere Angebote werden per Video in die Wohngruppen übertragen, damit die Abstandsregeln eingehalten werden können. Auch ein Sommerfest konnte im kleinen Rahmen stattfinden. „Wir bemühen uns, passende Lösungen zu finden und den Bewohnern so viel Normalität wie möglich zu geben – aber natürlich in Maßen und im Rahmen der Hygiene-Richtlinien“, so Susanne Korbmann. Gerta Halbleib erinnert sich, wie am Muttertag die ersten Besucher kommen durften. „Die Bewohner saßen drinnen, die Angehörigen draußen, durchs geöffnete Fenster konnte man sich unterhalten. Das war schon etwas Besonderes.“
Vieles, was vorher selbstverständlich war, hat man in den Krisenzeiten zu schätzen gelernt. Zum Beispiel die Besuche der Ehrenamtlichen, die für die Senioren ein wichtiges Bindeglied zum Leben außerhalb der Senioreneinrichtung sind. Von ihnen erfährt man, was draußen so vorgeht. Oder die Angebote der Betreuung und Versorgung, die nun plötzlich auf viel größeres Interesse stoßen. Für Ernst Halbleib, dessen Leidenschaft und Hobby fränkische Mundartgedichte sind, war es das größte Geschenk, als er nach drei Monaten sein Kopiergerät reparieren lassen konnte, das mitten im Lockdown kaputt gegangen war. Denn damit vervielfältigt er Gedichte, um anderen Leuten eine Freude zu machen.
Mit ihrer Familie haben die Halbleibs während der Schließung vor allem per Telefon kommuniziert, aber auch Briefe und Postkarten haben sie bekommen – sogar von Unbekannten. In einer Kiste hat das Ehepaar alles gesammelt: Kinderbilder, kleine Basteleien, aufmunternde Worte von einem siebenjährigen Jungen, mit dem Ernst Halbleib sogar in Briefwechsel getreten ist.
Sind sie durch ihre Lebenserfahrung besser als junge Menschen in der Lage, mit Krisen umzugehen? „In gewisser Weise ja“, glaubt Gerta Halbleib. „Aber es hat mich schon geschockt, dass wir als Gesellschaft so schlecht auf die Pandemie vorbereitet waren und dass wir offenbar leichtsinnig geworden sind.“ Umso mehr wissen die beiden zu schätzen, wie gut das Pflegepersonal die Krise aufgefangen hat. „Die Mitarbeiter im Haus hatten es nicht leicht und haben es prima gemacht.“
Ein siebenjähriger, fremder Junge schreibt während der Coronakrise aufmunternde Worte an Bewohner der Senioreneinrichtung. Ernst Halbleib ist mit ihm in einen Briefwechsel getreten.
Hintergrundbild: Ein bewegtes Leben: Gerta und Ernst Halbleib haben als Kinder den Zweiten Weltkrieg und nun auch die Coronakrise erlebt.